09 Januar 2006

Motorcycle Diaries

5. Januar 2005 - Donnerstag
Vietnam, das Zentrale Hochland - auf einem Motorrad. Hung faehrt, ich sitze hinter ihm und hinter mir ist mein riesiger Rucksack fachgerecht festgeschnallt. Musik von Steppenwolf geht mir durch den Kopf.
"Get your motor runnin' - Head out on the highway - Lookin' for adventure - And whatever comes our way!"
Die Landschaft rast an uns vorbei. Kiefernwaelder, Felder, Kaffeeplantagen, Doerfer. Es geht gewundene Strasen ueber Gebirgspaese - rauf und wieder runter. Der Himmel ist blau, ein paar Wolken, hinter dem naechsten Pass staut sich der Regen. Es wird dunlkel. Tropfen prasseln auf die Helme. Dann kommt die Sonne wieder raus.
Das Motorrad: ein malaysisches Produkt, der Nachbau einer Honda mit dem originellen Namen "Handa", 125 ccm, Reisegeschwindigkeit ca. 60 km/h. Es kommt mir schneller vor.
Ab und zu bleiben wir stehen. Hung erklaert mir einiges zur Gegend. Viele der Huegel sind kahl, nur mit schuetterem Gras bewachsen. Frueher, vor 1962, war hier dichter Dschungel. Amerikanische Piloten gestalteten dann die Gegend mit Hilfe von Napalm und "Agent Orange" etwas uebersichtlicher, damit sie den Vietcong besser sehen konnten - doch der Vietcong wich aus oder grub sich ein.
Wir halten in Doerfern der Minderheiten, "Montagnards" genannt. Sie lebten frueher als Halbnomaden in den Bergen. Nach dem Krieg wurden sie von der Regierung zur Sesshaftigkeit gezwungen, weil viele von ihnen mit den Amerikanern zusammen gearbeitet hatten. Heute bedeutet das: Armut pur!
Der Tag endet am Lak-See, dem groessten See des Zentralen Hochlandes. Huebsch im Sonnenuntergang.

6. Januar 2006 - Freitag
Der Tag beginnt mit dem weiteren Besuch eines Minderheitendorfes. Dieses ist offiziell von der Regierung zur Besichtigung frei gegeben. Pfahlbauten, davor sitzen Frauen und gehen ihrer Arbeit nach. Huehner und Schweine laufen herum und ueberall junge Hunde. Der Boden des Dorfes ist gefegt. Es ist kein Museumsdorf. Hier wird normal gelebt und gearbeitet, aber es gibt Andenkenlaeden und wenn man will, dann kann man auf einem Boot ueber den See fahren oder auf einem Elefanten reiten. Ich will nicht - Boot und Elefant hatte ich schon.
Dann fahren wir fast Non-Stop nach Buon Ma Thuot, der groessten Stadt des Hochlandes. Das einzig interessante, was es ueber den Ort zu sagen gibt ist, das es die erste Stadt Suevietnams war, die von den Nordvietnamesen erobert wurde. Daran erinnert ein haessliches Denkmal im Stadtzentrum. Sonst: haesliche Neubauten, staubige Cafes und Restaurants, nur wenige Touristen verirren sich hier her.
Der Grund, warum ueberhaupt Touristen nach Buon Ma Thuot kommen, liegt ein paar Kilometer ausserhalb. Hung kuendigt eine 'Trekking-Tour" an und faehrt mich an einen Fluss, an dem entlang ein Weg fuehrt. 7 Kilometer bis zu einem Restaurant. Dort wartet er dann auf mich. "Viel Spass!"
Schon nach wenigen Metern frage ich mich, was das soll. Der Weg ist betoniert und von leeren Plasteflaschen gesaeumt. Der Wald ringsum sieht krank aus. Der Fluss ist braun, auf der anderen Seite Felder. Es ist heiss. Der Wald endet und der Weg fuehrt weiter durch Felder. Aus einem winzigen Farmhaeuschen rennt eine wilde Meute Hunde auf mich zu, fletscht die Zaehne und kommt meinen Waden erschreckend nahe. Mir wird ploetzlich klar, warum mir Hung einen
Stock in die Hand gedrueckt hat. Mit Muehe kann ich meine Haut retten. Das wilde Knurren der Hunde verfolgt mich noch weiter, wird dann aber von Rauschen ueberdeckt. Ein Wasserfall. Und der ist wirklich ziemlich spektakulaer! Ploetzlich finde ich es gut, den Weg gegangen zu sein und beschliesse, Hung doch keine Vorwuerfe zu machen.

7. Januar 2006 - Samstag
Wir folgen dem Ho-Chi-Minh-Pfad in Richtung Sueden. Er ist mittlerweile eine gut ausgebaute asphaltierte Strasse, die das Zentrale Hochland mit Saigon verbindet. Hier gibt es kaum Wald. Auf einem Huegel steht ein Denkmal aus Beton. An dieser Stelle traf im Jahre 1960 der noerdliche mit dem suedlichen Ho-Chi-Minh-Pfad zusammen. Schwere Kaempfe fanden statt. Hunderte liessen ihr Leben - auf beiden Seiten. Heute stehen rechts und links der Strasse kleine Doerfer. Die Haeuser sind mit roten Schindeln gedeckt. Hung erklaert, dass hier Menschen leben, die aus dem Norden umgesiedelt wurden. Vor fast jedem Haus weht die vietnamesische Fahne: gelber Stern auf rotem Grund.
Pause an einer Raststaette im Wald. In einer Art Zelt findet eine Hochzeit statt. Das Paar kommt unter dem Jubel der Verwandten und Freunde aus einem winzigen Holzhaus. Es ist eine gute Zeit fuer Hochzeiten, erklaert mir Hung. Die Sterne stehen guenstig. Das ganze Land scheint zu heiraten. In jedem Ort durch den wir kommen findet mindestens eine Hochzeit statt.
Der Tag endet in Dong Xoai. Hier kommen nie Touristen hin. Ich werde auf angegafft wie ein Weltwunder.

8. Januar 2006 - Sonntag
Der Tag hat zwei Ziele: die Tunnel von Cu Chi und Saigon, das offiziell Ho-Chi-Minh-Stadt heisst. Beide Ziele sind beindruckend.
In Cu Chi besichtige ich ein Tunnelsystem des Vietcong aus den 60er Jahren. Da ich nicht mit einer Reisegruppe gekommen bin, habe ich das Glueck, die Tunnel relativ ungestoert besichtigen zu koennen. Nur noch ein Australier und sein vietnamesischer Freund gehoeren zu meiner Gruppe, die von einem Soldaten angefuehrt wird. Um es gleich zu sagen: das war keine Besichtigung - das war eine Erfahrung!!
Wir kriechen unter der Erde herum. Die Tunnel sind vieleicht 1,20 m hoch und 40 cm breit. Es ist heiss und dunkel. Die einzige Moeglichkeit fuer mich, mich fortzubewegen, ist auf allen Vieren. Dann kommt eine unterirdische Kueche. Raus aus dem Bau. Luft schnappen. Wieder nach unten: Tunnel - dann Kommandoraum - raus - wieder runter - Tunnel - Feldlazarett ... so geht es fast eine Stunde. Ich bin voller Erde, schwitze wie ein Schwein und sehe wahrscheinlich auch so aus. Der Soldat freut sich. Er sieht immer noch wie aus dem Ei gepellt aus. Kunststueck - der Typ ist maximal 1,55 m. Nach einer guten Stunde ist die Fuehrung vorbei und ich bin froh, nie dem Vietcong angehoert zu haben.
Saigon kuendigt sich dadurch an, dass die Strassen breiter werden und der Verkehr zunimmt. Dann kommt die Stadt und mit ihr das Chaos. Tausende, wahrschinlich hunderttausende Motorraeder und Mopeds machen mehr Laerm als eine ganze Armee von Hubschraubern. Zweiraeder haben eine extra Spur auf dem Superhighway in die Stadt. Rad an Rad, Knie an Knie draengelt die Masse vorwaerts. Es gibt nur eine Regel: Beruehren ist verboten! Ansonsten funktioniert der Verkehr als sich selbst regulierendes chaotisches System. Rechts wird ueberholt, links wird ueberholt, ploetzlich kommt eine Fahrradrikscha entgegen, der Fahrer vor uns beschliesst spontan anzuhalten, Vollbremsung, weiterfahren - um einen Bus herum. Ein alte Frau in schwarzer Tracht mit konischem Reishut tippelt durch den Verkehr ueber die Strasse - und nichts passiert ihr. Sie ist ein Fels in der Brandung mit Hut auf dem Kopf. Ich schwimme im Adrenalin und bin froh, als ich endlich im Hotel einchecke und das Chaos hinter mir habe.

Und was bleibt von der Fahrt? Die Erinnerung an eine wunderschoene Landschaft und freundlich laechelnde Menschen, viele Fotos - und, nach vier Tagen auf dem Ruecksitz eines Motorrades, Schwielen am Arsch.

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Informationen
Heute sehe ich mir ein bischen von Saigon an. Morgen fahre ich dann nach Kambodscha, bleibe eine Nacht in Phnom Penh, um dann am naechsten Tag weiter nach Siem Reap zu fahren, wo die Ruinen von Angkor auf mich warten.

1 Comments:

At Montag, Januar 09, 2006, Anonymous Anonym said...

Hallo Brother!
In 10 Tagen biste wieder da. Freuste dich schon? Das ist ja alles der Wahnsinn. Das kann man doch garnicht alles verarbeiten, oder? Sicherlich haste schon ne Reisallergie entwickelt.
Übrigens habe ich mich jetzt auch von deinem Blog anstecken lassen und mir nen eigenen gebastelt. Kannst ja mal gucken: www.blobel-international.blogspot.com

bis bald in der Heimat,
dein Brother

 

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